„Kurz nach meinem Studium habe ich ein paar Monate als Dolmetscherin für die Polizei gearbeitet. Ich war ja immer im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Frankreich, und die Polizei hat damals auch Studienabgänger zeitweise eingestellt, weil sie Leute brauchten, die französisch können. Eines Abends haben sie einen Kerl festgenommen, der mit einem Haufen Drogen im Auto an der Grenze erwischt wurde. Das heißt ihn und seinen Bruder. Sie haben mich angerufen, ich war natürlich tierisch aufgeregt, klar, so ein Dolmetscheinsatz ist immer der Wahnsinn. Und dann bei der Polizei, vor einem Verbrecher sitzen, da können einem schon mal die Nerven durchgehen. Ich kam jedenfalls dorthin, direkt an das Grenzerbüro, und die Polizisten saßen den beiden Brüdern in Handschellen gegenüber. Die beiden Brüder redeten unter sich und ich habe vor der Tür noch mitbekommen, wie sie von einer Leiche redeten. Ich war in dem Moment gerade dabei, meine Personalien anzugeben. Die Polizisten haben die beiden nicht verstanden, logisch, sonst hätten sie mich ja nicht gerufen. In dem Moment, als ich dazu kam, waren die beiden Brüder logischerweise still, aber sie hatten wohl irgendwie kapiert, dass ich etwas mitbekommen hatte. Dann war das Verhör, aber da ging es nur um die Drogen, mit denen sie erwischt wurden, sonst nichts. Das Verhör ging stundenlang und die beiden waren echt schwer zu verstehen, sie hatten einen seltsamen Dialekt und ich musste ständig an das denken, was ich aus Versehen mitbekommen hatte. Immer wieder haben sie mich fies angeschaut, als wollten sie mir drohen. Ich hatte wahnsinnig Angst, irgendwas falsch zu übersetzen. Irgendwann wurden die beiden dann abgeführt und im Weggehen hat mir der eine der Brüder zugeflüstert ich solle meine Klappe halten, sonst würde ich meines Lebens nicht mehr froh. Irgendwie sowas in der Art hat er gesagt. Der Polizist hat ihn von mir weggezogen und als die beiden im Polizeiwagen waren hat er logischerweise gefragt, was der andere von mir wollte. Das haben die beiden wiederum vom Auto aus beobachten können. Ich muss den Polizisten ziemlich verängstigt angeschaut haben in dem Moment. Und dann musste ich mit der Wahrheit rausrücken. Ich musste auch unterschreiben, dass ich alles wahrheitsgetreu übersetzt hatte, sonst hätten sie mich belangen können. Klar hatte ich das vor dem Verhör mitbekommen, aber ich konnte das auch nicht einfach weiter mit mir rumschleppen. Also hab ich dem Polizisten erzählt, was ich mitbekommen hatte und tatsächlich wurden die beiden nicht nur wegen Drogenbesitz sondern der eine der Brüder auch wegen Raubmord angeklagt. Der andere hatte wohl mit der Geschichte nicht direkt zu tun, sonst wäre er jetzt nicht hier. Aber er kennt mich und anscheinend hat er mich gestern Abend oder heute Morgen hier gesehen und vielleicht wiedererkannt.“
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