Unos cuantos piquetitos… nur ein paar kleine Dolchstiche…

Aus: Senor Ruì – Die Nachtigall

Frida liebte Diego. Sie bewunderte ihn, sah zu ihm auf, fühlte sich verschwindend klein neben ihm. Ihr Verhältnis war gespalten. Sie hatten sich kennengelernt, als Frida ihn um seine Meinung zu ihren Gemälden bat. Und gleichzeitig misstraute sie ihm. Sie verliebte sich in ihn, in den großen Maler der Murales, stellte sich in seinen Schatten, war um sein Wohl besorgt, tat alles um ihn zufriedenzustellen. Sie wollte ihm einen Sohn schenken, doch es war ihr nach dem schlimmen Unfall nicht vergönnt. Ihre Trauer und Frustration, kein Kind bekommen zu können, steckt in all ihren Bildern. Während es früher Mitleid in mir erregte, beneide ich sie heute darum, keine Kinder bekommen zu können. Ich sehe an mir herunter, betrachte meinen inzwischen dicken Bauch und spüre ein verhaltenes Strampeln des Babys in mir, als wolle es mir sagen, ich bin immer noch da, deine Wut konnte mir nichts anhaben. Ich wandele weiter zwischen den Bildern umher, genieße Fridas Anwesenheit, ihre brutalen Werke trösten mich auf eine seltsame Art. Sie geben mir das Gefühl, dass es Menschen gibt, denen es schlechter als mir selbst ergangen ist. Ich gehe weiter, gesenkten Hauptes, vorbei an all den Touristen, die ich am liebsten fortschicken würde. Ich will allein mit ihr sein. Das Atelier ist riesig, ich gehe durch die Hallen und ignoriere die Bilder, die ihre Geburt zeigen. Sie machen mir Angst. Von einem Bild kann ich mich jedoch nicht losreißen. Ich bleibe wie hypnotisiert vor „Ein paar kleine Dolchstiche“ stehen. Das Bild zeigt nicht sie selbst, sondern den Mord an einer jungen Frau, von dem sie aus der Zeitung erfahren hat. Sie hatte ihren Mann betrogen, er hat sie auf dem Bett erstochen und soll sich vor Gericht mit dem Satz: „Aber es waren doch nur ein paar kleine Dolchstiche!“ verteidigt haben. Man sagt, Frida wollte mit diesem Werk ihrer Wut Ausdruck verleihen, als sie herausfand, dass Rivera sie mit der eigenen Schwester betrog. Ich trete näher an das Bild heran, kann seinen Geruch schon fast wahrnehmen. Ich betrachte den goldenen Rahmen, Frida ist über ihr Ziel hinausgegangen, nicht nur das Bild selbst ist mit Blutflecken übersät, auch der Rahmen ist von Blutspuren gezeichnet, als habe das Bild beim Mord der jungen Frau mitten im Raum gestanden. Als habe der Mörder so fest zugestochen, dass das Blut das Bild befleckte. Ich wage noch einen Schritt vorwärts, nun ist das Werk keine zehn Zentimeter von meiner Nasenspitze entfernt. Ich rieche daran, hebe einen Finger, um es vorsichtig zu berühren. Ich muss sie spüren. Sie will mir etwas sagen, ich fühle es. Frida will mich warnen, warum sonst hat sich mich bis hierher in den letzten Raum dieser riesigen Ausstellung geführt? Ich hebe den Finger, sehe mich um wie ein Verbrecher. Die Dame am anderen Ende des Raumes hält einen intensiven Tratsch mit ihrer Kollegin. Ich kann es wagen. Meine Fingerkuppen streichen über die Leinwand, ich spüre die kleinen Unebenheiten, die trockene Farbe, sehe in das Gesicht der Ermordeten. Sie ist keine Fremde mehr. Ich kenne dieses Mädchen. Sie ist mir vertraut. Ohne dass ich es will, entfernt mir ein leiser Schrei, ich kann mich selbst auf dem Bett sehen, in all dem Blut, den Körper mit Stichen übersät, neben mir steht er, der dunkelhaarige Mann, er trägt schwarze Hosen und betrachtet befriedigt sein makabres Werk. Er lächelt verschmitzt. Meine Augen sind geschlossen, aus meinem rechten Arm tropft das Blut auf die Erde. Ich habe meinen Schuh verloren, meine Haare verteilen sich über das Kissen, sie sind schmutzig und zerzaust, es war ein heftiger Kampf. Auch aus meinem Mund sickert Blut. Die Schmerzen haben mir das Bewusstsein geraubt, ich bin ohnmächtig. Das Hemd des Mannes sieht aus wie das eines Metzgers. Besudelt von oben bis unten, nachdem er sein Opfer zur Schlachtbank gebracht hat. Er hat kurzen Prozess gemacht, so sehr trieb ihn die Eifersucht an. Vielleicht wollte er sie gar nicht töten, sondern nur bestrafen, nachdem sie ihn betrogen hatte. Ich nehme den Finger herunter, verstecke meine Hand verschämt hinter meinem Rücken. Als ich mich langsam rückwärts von diesem Alptraum wegbewege, sehe ich, dass der schwarzhaarige ein wenig die Lippen öffnet und ein paar weiße Zähne hervor blitzen. Frida hat schon immer ganz besonders auf die Details geachtet.