Es ist doch nur eine Nacht, denke ich, drehe mich noch einmal zu dir um und lächle. Deine Augen verengen sich, blitzen in der Abendsonne, ein letzter Kuss, dann steigst du in dein Auto. Ich sehe dir nach, wie du davonfährst, abbiegst, dich von mir entfernst. Nur eine Nacht, nur ein paar Stunden, die können mir doch nichts anhaben. Du hast zu tun, ich habe zu tun, man soll sich schließlich nicht aneinander ketten, man muss sich auch mal gehen lassen. Natürlich lasse ich dich gehen, schließlich besitze ich dich nicht. Ich liebe dich, und was man liebt, lässt man frei. Freiheit tut gut, unser Vertrauen ineinander erlaubt uns diese Freiheit. Liebe schenken, Freiheit schenken, das haben wir uns versprochen.
Es tut gut, den anderen gehen zu lassen und selbst gehen zu dürfen. Eigene Wege einschlagen zu dürfen, sich entfalten zu dürfen und diese Erfahrung dann miteinander zu teilen. Die Liebe ist kein Gefängnis, sie soll uns bereichern, nicht einengen. Wer liebt, soll vor Glück schreien wollen, auch wenn man es dann nur ganz leise tut. Oft entfährt mir so ein kleiner Glücksschrei, wenn ich dich spüre, dich schmecke, oder einfach nur an dich denke.
Ich bin stehen geblieben, du bist längst nicht mehr auf meiner Straße. Ich stehe am Straßenrand, Autos hupen und ihre Fahrer fragen mit Gesten, ob ich nicht endlich über den Zebrastreifen gehen will. Nein, ich schüttle den Kopf, ich werde dich nicht verfolgen. Ich lasse dich gehen und warte, bis du zurückkommst. Schließlich ist es nur eine Nacht.
Ich wende mich ab und gehe nach Hause. Ich schließe die Wohnungstür auf, dein Geruch, unser Geruch empfängt mich. Ich sehe deine Kleidung auf meinem Bett, deine Tasse mit dem Kaffee von heute Morgen steht in der Spüle. Deine Spuren sind hier, die Krümel vom Frühstück, die Kissen mit deinem Kopfabdruck auf dem Sofa, deine Schuhe in der Ecke. Deine Zahnbürste, der Geruch nach deinem Duschgel im Bad. Es ist nur eine Nacht, sage ich leise und ziehe dein T-Shirt an, obwohl ich darin versinke.
Ich liege im Bett und denke an dich. Ich denke an unsere gemeinsame Vergangenheit, an unsere Zukunft. An den nächsten Tag, wenn du zurückkommst, nach dieser einen Nacht. Ich drehe mich zu der Seite, auf der du immer schläfst. Ich vermisse deinen Atem, die Wärme deines Körpers. Ich vermisse deine Küsse, mit denen du mich mitten in der Nacht aus dem Tiefschlaf reißt. Es ist doch nur eine Nacht, wiederhole ich immer und immer wieder, bis ich einschlafe. Plötzlich weckt mich ein Geräusch. Es ist Mitternacht, jemand klingelt an meiner Tür.
Selbst eine einzige Nacht kann zu lang sein.