Bemerkenswert

Der König von Tiers: Preview

In 10 Tagen ist es soweit: Filippo Magnabosco und Carmela Pasqualina ermitteln wieder. Ein verzwickter Entführungsfall führt die beiden dieses Mal ins alpine Hochgebirge – den Rosengarten. Hier eine kleine Leseprobe…

Filippo Magnabosco setzte sich an diesem Montagnachmittag mit einem lauten Ächzen auf seinen Bürostuhl. Jeder einzelne Muskel tat ihm weh und er hatte schrecklichen Hunger. Carmela Pasqualina, seine Assistentin und seit einigen Monaten auch Lebensgefährtin, hatte ihn gegen seinen Willen in einem Bozner Fitnessstudio eingeschrieben.

Pesi statt Pasta“, hatte sie ihm an diesem Morgen liebevoll ins Ohr geflüstert, einen grünen Tee und eine Schüssel ungesüßten Müslis mit entrahmter Milch vorgesetzt. „Gewichtheben statt Nudeln essen“, wozu sollte das gut sein? Magnabosco hatte sein ungewöhnliches Frühstück, das sonst aus einer Brioche und einem Cappuccino in der Bar bestand, zunächst angestarrt und dann hinuntergewürgt. Während er sich rasierte, hatte Carmela ihm erklärt, dass man ihn in der Mittagspause in einem Fitnessstudio in der Innenstadt erwarte. Magnabosco war irritiert. „Dein Personal Trainer“, hatte Carmela gesagt, ihm ein Küsschen auf den weiß umschäumten Mund gedrückt und das Bad verlassen, bevor er etwas entgegnen konnte.

Erstaunlicherweise war er an diesem Morgen voller Energie zur Arbeit gefahren – mit dem Fahrrad, wohlgemerkt.

Nun, als die Mittagspause vorbei war und Magnabosco endlich seine Vesper verzehren durfte – sie bestand aus einer Stange Sellerie, einer Biokarotte und einem Vollkornbrötchen mit kalorienarmem Frischkäse –, übermannte ihn heftige Müdigkeit wegen der sadistischen Gewichtsübungen im Fitnessstudio. Er legte das Gemüse zurück in die Lunchbox, machte die Augen zu und träumte von einem Wiener Schnitzel mit Pommes frites. Oder Knödel mit Krautsalat, so wie seine Mutter sie immer zubereitet hatte. Dann musste er an die Lasagne seiner Großmutter denken. Dieser Duft … allein beim Gedanken daran lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Gerade, als seine Beine sich zu entspannen schienen, wurde mit einem Poltern die Tür zu Magnaboscos Büro aufgeschlagen. Nothdurfter, sein Vorgesetzter, schrie ihn an und riss ihn aus dem Halbschlaf: „Magnabosco! Was ist mit Ihrem Telefon? Warum antworten Sie nicht?“

Magnabosco fing sich, stand ein wenig zu ruckartig auf und spürte ein heftiges Ziehen im Lendenwirbel, das ihn sofort wieder in den Bürostuhl zwang.

„Entschuldigung, ich habe es nicht gehört“, stammelte er und suchte den Tisch nach dem Mobiltelefon ab.

„Kein Wunder, es ist ja auch ausgeschaltet“, gab Nothdurfter zurück. „Und das während der Arbeitszeit! Aber das besprechen wir nachher in meinem Büro.“ Dann ging er beiseite und ließ einen Herrn eintreten. „Magnabosco, das ist Herr Dieter Pardeller aus Eppan. Er ist der Besitzer einer bekannten Kellerei in St. Pauls. Seine Tochter ist seit vorgestern Abend abgängig.“

„Für die Abgängigkeitsanzeigen sind die Kollegen im oberen Stock zuständig.“

„Herr Pardeller ist der Meinung, es könne sich um eine Entführung handeln. Schließlich ist seine Tochter die nominierte Weinkönigin.“

Nothdurfter bot dem Winzer einen Stuhl an, dieser setzte sich und zog einen weißen Umschlag aus seinem ledernen Herrentäschchen. Magnabosco blieb still und nickte, es brachte ja doch nichts, seinem Vorgesetzten zu widersprechen.

„Einen Moment bitte noch“, sagte er zu Pardeller, nachdem er ihm kurz die Hand gedrückt hatte, rief Carmela an und bat sie zu sich. Einige Sekunden später betrat sie schwungvoll sein Büro, drückte Herrn Pardeller freundlich die Hand und zückte einen Stift, um die Aussage des besorgten Vaters zu notieren. Zwischendurch betrachtete sie ihn mitfühlend.

„So, Ihre Tochter ist also verschwunden?“, begann Magnabosco das Gespräch.

Pardeller nickte. „Sie war am Samstagabend bei einer Weinverkostung in Kaltern eingeladen und ist nicht zurückgekommen.“

„Freunde, Verwandte, bei denen sie vielleicht untergekommen ist?“, erkundigte Magnabosco sich.

„Nein, haben wir alle angerufen. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt.“

„Hat Sie vielleicht einen Freund, von dem Sie nichts wissen?“

Carmela hob ihre linke Augenbraue und schielte zu Magnabosco herüber.

„Von dem Sie bislang nichts wussten, meinte ich natürlich“, verbesserte Magnabosco sich schnell. Er musste dringend richtige Nahrung zu sich nehmen, sonst funktionierte er nicht. Wieder roch er die Lasagne seiner Großmutter.

„Simona, also meine Tochter, ist mit Hartwig verlobt.“

„Artewigge … Nachname? Adresse?“, fragte Carmela nach.

Pardeller buchstabierte den vollständigen Namen des Mannes und nannte ihr die Adresse.

„Meine Frau wird fast verrückt vor Sorge, also finden Sie sie bitte. Außerdem wird Simona nächste Woche offiziell zur Weinkönigin gekrönt. Und in drei Wochen ist die Hochzeit mit Hartwig“, sagte Pardeller.

„Haben Sie ein Foto von Ihrer Tochter dabei?“, fragte Magnabosco.

„Ja, hier, das können Sie behalten“, antwortete Pardeller und entnahm seiner Tasche einen weißen Umschlag. Magnabosco öffnete ihn und betrachtete Simonas hübsches, strahlendes Gesicht.

„Erzählen Sie mir von Ihrer Tochter. Umfeld, Probleme, wirklich alles.“

Seine Tochter war fünfundzwanzig Jahre alt und studierte im letzten Semester Weinbau, um irgendwann in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Sie war allseits beliebt, hatte einen großen Bekanntenkreis und war sehr in Hartwig verliebt. Die beiden kannten sich schon einige Jahre und hatten nun beschlossen, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Soweit Pardeller wusste, hatte sie keine finanziellen Probleme, schließlich unterstützten er und seine Frau Elisabeth sie ja auch mit monatlichen Zuwendungen für das Studium. Außerdem konnte sie weiterhin zu Hause wohnen. Simona, die von allen nur Simmi genannt wurde, war ein fröhliches Mädchen, kannte sich im Weinbau bestens aus und schien ein rundum glückliches Leben zu führen.

„Was macht sie in ihrer Freizeit?“, fragte Carmela und knabberte an ihrem Kugelschreiber.

„Sie klettert oft und geht gern wandern“, erklärte Pardeller.

„Mit wem?“

„Mit Hartwig. Meistens sind auch seine zwei Cousins und ein paar Freunde dabei.“

„Hat sie eine beste Freundin, eine Vertraute?“, ergänzte Magnabosco. In diesem Alter erzählte man die eigenen Probleme nicht mehr seinem Vater.

„Mit einer gewissen Claudia trifft sie sich des Öfteren, zumindest hat sie sie ein paarmal beim Abendessen erwähnt. Die beiden studieren zusammen.“

„Ich brauche alle Namen und Adressen“, sagte Magnabosco und stand auf. Nun schmerzten nicht nur seine Muskeln , sondern auch sein leerer Magen. Er bat Carmela, gemeinsam mit Pardeller alle Einzelheiten an ihrem Schreibtisch aufzunehmen. Sie nickte, er verabschiedete sich von dem Winzer und schloss die Bürotür hinter ihnen. Dann stürzte er sich auf sein Vollkornbrötchen, biss hinein und stieß mit den Zähnen auf etwas Hartes. Es knirschte, ein stechender Schmerz durchfuhr Magnaboscos Oberkiefer und er konnte gerade noch die Plombe auffangen, die sich von seinem Zahn gelöst hatte.

Bemerkenswert

Kommissar Spitzweg, Erich und Pink Lady

Ein Mini-Krimi zum

Internationalen Tag der Frau

Teil Eins

Bille betrachtete sich im Spiegel. Ihre Haut hatte einen goldbraunen Schimmer angenommen, die kleinen Fältchen um ihre blauen Augen zeigten winzige letzte weiße Spuren. Seit zwei Monaten lebte sie nun hier am See, sie hatte sich so sehr danach gesehnt, das Plätschern der kleinen Wellen zu hören, ihr Glitzern in der Herbstsonne zu beobachten, bevor er im Winter zufrieren würde. Hier war sie nun, hatte ihr altes Leben mit der großen Last einfach hinter sich gelassen. Aus der verfolgten Sibylle war die freie Bille geworden. Sie wich von ihrem Spiegelbild ab, stieg die kleinen Stufen ihres Hausboots empor, legte sich an Deck und schloss die Augen. Leichter Wind kam auf, das Boot wog sie in halben Schlaf.

Zwei Jahre. Ein Mann hatte sie zu seiner Liebsten auserkoren, ohne jemals danach zu fragen, ob sie diese Liebe erwidere. Am Anfang war eigentlich alles halb so schlimm gewesen, sie hatte ihm sogar das Leben gerettet. Rettungseinsatz auf der Autobahn, er hatte seinen Wagen gegen einen Brückenpfeiler gefahren. Selbstmordversuch, Sekundenschlaf? Man wusste es nicht. Der Mann erlitt schwere Verletzungen, musste reanimiert werden, kam ins Krankenhaus, Gedächtnisverlust. Als er wieder aufwachte, war seine Vergangenheit ausgelöscht und er verliebte sich Hals über Kopf in seinen Schutzengel.

Nach mehreren Monaten durfte er das Krankenhaus wieder verlassen. Er verabschiedete sich bei Sibylle mit roten Rosen, sie freute sich und wünschte ihm alles Gute für die Zukunft. Auf seine Zuneigung war sie nicht eingegangen, hatte ihn aber stets mit Freundlichkeit bedacht. Eine Woche später wartete er nach Dienstschluss vor dem Krankenhaus auf sie und lud sie in ein Restaurant ein.

Nach dem Abendessen hatte er sie nach Hause begleitet, sie galant bis zur Haustür ihres Mehrfamilienhauses gebracht und sich dann verabschiedet. Sibylle hatte sich bedankt und kurz überlegt, ihm ein Küsschen zu geben, sich dann aber umgedreht. Nein, keine Affäre mit Patienten, auch keine mit ehemaligen Patienten. Er war eh nicht so ganz ihr Typ und sie verspürte keine Schmetterlinge im Bauch. Es war einfach nur ein netter Abend gewesen.

Zwei Wochen lang war nichts passiert. Sibylle hatte ihn eigentlich schon längst wieder vergessen, als sie in ihrem Briefkasten zwei Eintrittskarten ihrer Lieblingsband fand. „Nimmst du mich mit?“, stand auf einem Post-it, den er auf die Karten geklebt hatte. Wie war er an diese Tickets gekommen? Das Konzert war seit Monaten ausverkauft. Innerlich jubelte sie, wusste aber nicht so recht, wie sie sich dafür bedanken sollte. Seine Telefonnummer hatte sie nicht.

Teil Zwei

Kommissar Erich Spitzweg schritt langsam über den Holzsteg, der durch das Biotop am Seeufer führte. Die Luft war noch warm, die Herbstsonne erhitzte den See, es roch nach den ersten fallenden Blättern. Eine Ente flog auf, als Spitzweg stehen blieb. Irgendwo gluckste es, als ein Karpfen nach Luft schnappte. Die Touristin, die den Leichnam entdeckt hatte, stand mit blassem Gesicht an der Brüstung, die den Holzsteg umgab. Ihre Augen waren geweitet, sie zitterte und hielt sich den Bauch.

  • Bringen Sie sie weg, bat Spitzweg seinen Kollegen., Bevor sie uns noch ins Wasser kippt oder den Tatort versaut.

Die Tauchereinheit hatte die Wasserleiche geborgen und bereits in den Aluminiumsarg gelegt. Erich Spitzweg hielt sich sein mit Lavendelöl getränktes Taschentuch vor Mund und Nase und betrachtete ihn eingehend. Auf den ersten Blick konnte er keine Schuss- oder Schnittwunden feststellen. Auch sein Hals war anscheinend unversehrt.

  • Woran ist er gestorben?, fragte Spitzweg.
  • Erst obduzieren, antwortete der Gerichtsmediziner.
  • Seit wann ist er tot?
  • Mindestens vierundzwanzig Stunden, er ist genauso kühl wie der See.

Eine Wasserleiche behielt viele Geheimnisse für sich, die meisten Beweise versanken in den glitzernden Wellen. Spitzweg blieb, nachdem die Kollegen von der Spurensicherung abgezogen waren. Er beschloss, den See einmal zur Gänze zu umrunden, vielleicht hatte das stille Wasser ja etwas an Land geschwemmt.

Die Sonne wurde schwächer, als Spitzweg das Biotop verließ und die breite, befahrbare Uferstrecke zwischen den Apfelbäumen betrat. Der Herbstduft mischte sich mit dem der gefallenen Äpfel. Spitzweg hob einen auf und biss hinein. Pink lady, dachte er, und sah einer jungen Frau nach, die in einem strahlend rosafarbenen Kleidchen noch einen Abendspaziergang machte. Die junge Frau drehte sich zu ihm um, nickte freundlich und erstach ihn fast mit ihren blauen Augen.

Teil Drei

Sibylle hatte nach dem Fund der Konzerttickets notgedrungen beschlossen, einfach nichts zu tun. Was hätte sie auch machen sollen? Sie kannte nur seinen Namen, die Datei der ehemaligen Patienten durfte sie ohne die Zustimmung ihrer Vorgesetzten nicht öffnen. Sie ließ die Tage bis zum Konzert vergehen und ging davon aus, es alleine zu besuchen. Als sie an besagtem Abend vor die Haustür trat, war niemand da. Sie sah sich nach einem Auto um, fand aber keines. Sie machte sich auf den Weg zum Busbahnhof, auch hier konnte sie ihren Gönner nirgendwo entdecken.

Sie genoss die Musik und die Stimmung, das Konzert war ausverkauft, ein voller Erfolg. Wie sehr hatte sie die Lieder dieser Gruppe vermisst, wie sehr die raue Stimme des Frontsängers, der in seinen Liedern die Liebe verteufelte. Dann kam es, das langsame Stück, Sibylle schloss die Augen, ihr Herz schlug im Takt mit, sie sang leise, wiegte ihre Hüften, bemerkte nicht einmal die Hände, die sich um ihr Becken legten. Sie tanzte, fühlte nichts in ihrem Rausch, bis eine sanfte Stimme in ihrem Ohr sie zusammenzucken ließ.

  • Du hast mich nicht mitgenommen.

Sibylle schrie auf vor Schreck, drehte sich brüsk um und starrte in das Gesicht ihres ehemaligen Patienten.

  • Ich…, versuchte sie, sich zu erklären.
  • Du bist undankbar, Sibylle.
  • Aber… ich habe dich gesucht…, stammelte sie.
  • Sieh dich um. Und sieh dich vor.

Mit diesen Worten verschwand er in der Menschenmenge. Sibylle blieb wortlos und mit pochendem Herzen zurück. Undankbar? Sie verspürte das dringende Bedürfnis, ihm hinterher zu rennen und ihm die Meinung zu sagen. Dann kam die Unsicherheit, gefolgt von der ersten Angst. Diese letzten zwei Sätze: Sieh dich um und sieh dich vor.

Mulmig begab sie sich auf den Heimweg. Als sie vor ihrer Haustür stand, konnte sie ihren Schlüssel nicht sofort finden und bemerkte, dass die Tür nur angelehnt war. Sie hatte doch abgeschlossen, da war sie sich sicher.

Teil Vier

 „Hauptkommissar Erich Spitzweg“, sagte er laut und betrat den Holzsteg, der im See endete. Die junge Dame in pink saß dort, die Füße baumelten in den glitzernden Abendwellen.

„So so“, sagte sie, „Der Spitzweg-Erich. Was kann ich für Sie tun, Herr Hauptkommissar?“

Spitzweg schmunzelte, wie oft hatte er diesen Witz schon über sich ergehen lassen? Aus ihrem Mund jedoch klang er süßer und weniger bitter als das Kraut, das denselben Namen trug.

„Man hat hier im Biotop einen Toten gefunden. Da Sie ja hier weilen, wollte ich fragen, ob Sie vielleicht etwas beobachtet haben, Frau…?“

„Bille“, antwortete sie und streckte ihm die Hand entgegen. Als Spitzweg sie zum Gruße annahm, ließ sie ihn nicht los, sondern hielt sich an ihm fest, um aufzustehen. Mit einem Mal hatte sich der Abstand zwischen ihnen auf wenige Zentimeter reduziert. Er roch ihren Apfelatem. Pink Lady.

„Kommen Sie mit. Ich habe Hunger. Beim Essen erzähle ich Ihnen, was ich hier so tagtäglich beobachte.“

Spitzweg nahm ihre Einladung verblüfft an. Bei einem Glas Weißwein, gegrilltem Seebarschfilet und bunt gemischtem Gartensalat verliebte er sich in Bille.

„Ich beginne gerade ein neues Leben, Herr Spitzweg-Erich“, raunte sie, als sie sich von ihrem Gast verabschiedete. „Verraten Sie niemandem, dass ich hier bin. Auch Ihrer Leiche nicht.“

Weinseelig verabschiedete Spitzweg sich von ihr und träumte in dieser Nacht von seeblauen Augen.

Bille legte sich an Deck und sah hinauf in den herbstlichen Sternenhimmel. Eine verspätete Sternschnuppe huschte vorbei, dann noch eine. Sie dachte an jene Nacht nach dem Konzert, als sie ihre unverschlossene Haustür vorfand. Beunruhigt war sie eingetreten, hatte damit gerechnet, dass man ihr auflauerte. Von den räuberischen Banden hatte sie gehört, sie befürchtete, ausgeraubt worden zu sein. Doch nichts dergleichen war geschehen, alles war an seinem Platz, auch das wenige Bargeld in ihrer Schublade fehlte nicht. Sie schloss die Haustür mehrmals ab, legte sich ins Bett und fand doch keinen Schlaf. Mehrere Wochen vergingen, der Patient meldete sich nicht mehr. Bille beruhigte sich und vergaß ihn. Fast.

Teil Fünf

 „Kanntest du diesen Mann?“, fragte Spitzweg und legte Bille ein Foto der Leiche zu Lebzeiten vor. Er war der Polizei nicht unbekannt: man hatte ihn wegen Nötigung angezeigt. Bille nickte.

„Ja“, sagte sie. „Aus der Hölle.“

Bille erklärte sich, während das Hausboot auf den See hinausschaukelte. Sie sprach von dem schlimmen Autounfall, von dem Konzert, von seinen Avancen, von der offenen Wohnungstür. Erzählte ihm, wie er erst untergetaucht war und dann eines Abends inmitten von hundert roten Rosen in ihrer Wohnung saß und mit einem Ring um ihre Hand anhielt. Wie sie es schaffte, zu flüchten. Wie sie umzog, sich nicht mehr zur Arbeit traute und ihren Job verlor. Wie sie sich von ihren Freunden entfernte, bis sie nicht mehr nachfragten. Wie sie vereinsamt in eine andere Stadt zog und eines Tages eine Grußkarte von ihrem „Lieblingspatienten“ bekam.

Erich Spitzweg hörte ihr einfach nur zu. Er wusste, dass bald ein Geständnis folgen würde. Wind kam auf, am Horizont ballten sich dunkle Wolken zu einem heftigen Sommergewitter zusammen.

„Eines Tages besuchte ich meine Eltern. Als ich vom Spaziergang zurückkam, sagte meine Mutter, dass ein Freund von mir da sei. Da saß er dann, im Wohnzimmer, und prostete meinem Vater zu. Was für ein netter junger Mann, sagte meine Mutter, und bereitete das Abendessen zu. Ich hatte ihnen nichts von meinem Stalker gesagt, da ich sie nicht beunruhigen wollte.“

Die ersten dicken Tropfen klatschten auf Spitzwegs Kopf, sie stiegen unter Deck. Der Regen schlug gegen die Bootwände, der Wind schob es auf die Seemitte hinaus. Ein Blitz schlug irgendwo ein, es krachte, Bille erschrak und suchte Halt an dem Hauptkommissar. Spitzweg hielt sie, dann küsste er sie zum ersten Mal.

„Sprich nicht weiter, Bille. Ich werde morgen früh von Bord gehen. Und du wirst dir ein neues Gewässer suchen müssen.“