
Ein Auszug aus „Die Rache der Schmetterlinge“ (Kapitel XII, Vanessa)
Ich wurde 1961 als Tochter eines Großunternehmers und seiner Sekretärin geboren. Ich bin behütet aufgewachsen, meine Eltern ließen es mir an nichts fehlen. Ich genoss die beste Ausbildung, studierte und machte schnell Karriere in Vaters Firma. Doch eines Tages hatte ich die Buchhaltung satt und verschrieb mich dem Gastgewerbe. Zu Anfang waren sie wütend, versuchten, mir die Flausen auszutreiben, doch ich ließ nicht locker. Schließlich konnte ich meine Eltern davon überzeugen, dass es meine Berufung war, mich um Gäste zu kümmern, es bereitete mir Freude, mit den Menschen zu sprechen, ihnen ihre Wünsche zu erfüllen. So begann ich, in verschiedenen Hotels und Restaurants zu arbeiten. Der Anfang war schwer, schließlich half mein Vater nicht mehr nach. Doch ich konnte mich erfolgreich durchboxen, vom Zimmermädchen zur Rezeptionistin, von der Baristin zur Eventmanagerin, von der Buchhalterin zur Oberkellnerin – ich habe alles mitgenommen. Dann endlich kam der Tag, als ich mein eigenes Restaurant eröffnen durfte. Ich erinnere mich noch heute an den Moment, als ich mit zitternden Händen den Kaufvertrag unterschrieb. Ich bekam Angst, fühlte mich allein und verlassen, hatte das gesamte Erbe meiner lieben Eltern und meine Ersparnisse in meinen Traum gesteckt und keinen Groschen mehr in der Tasche. Ich hatte noch einen Zwanziger im Geldbeutel, bin zur nächsten Bar gegangen, um auf mich selbst anzustoßen. Dann habe ich die Tür zum Restaurant geöffnet. Die ersten Wochen liefen schleppend, zu versteckt war das Lokal, obwohl es sich mitten in der Innenstadt befand. Doch langsam kamen immer mehr Gäste, brachten ihre Freunde mit, die Werbung funktionierte und bald brummte das Geschäft. Meine Ausgaben holte ich wieder herein, ich wurde zusehends reicher. Zeit, um das Geld zu verschleudern, hatte ich keine.
Eines Abends setzte sich ein freundlicher, junger Mann an den Tresen und bestellte einen Drink. Ich wollte ihm schon einen Platz anbieten und die Speisekarte reichen, doch er lehnte ab. Er wolle nur etwas trinken und mir ein wenig meiner Zeit stehlen, sagte er. Ich antwortete, dass ich wenig davon besäße, doch er wollte warten. Er saß geduldig bis Mitternacht an der Bar, las die Zeitung und beobachtete mich. Ich war gerade dabei, die Kasse zu schließen, als endlich aufstand und scheinbar gehen wollte. Doch dann fragte er: „Kennen Sie die Nachtfalter?“ Ich schmunzelte amüsiert. „Nein, wer soll das sein?“ „Eine Schauspielergruppe. Sie machen auch Veranstaltungen in Restaurants. Krimi beim Abendessen, wenn Sie davon schon mal gehört haben. Ich glaube, Ihr Restaurant wäre ideal dafür, Frau…“ „Vanessa.“, ergänzte ich seinen Satz. „Vanessa. Der Schmetterling. Ein wunderschöner Name. Ich bin Eric. Sehr erfreut.“ Wir gaben uns die Hand, und er hielt sie einen Moment länger fest, als unbedingt nötig. Der Ausdruck in seinen Augen sprach Bände. Von diesem Abend an kam er täglich ins Restaurant, umgarnte mich, machte mir den Hof. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Er, der gute zehn Jahre jünger war als ich, ließ mich aufblühen. Ich war nie verheiratet gewesen, war Zeit meines Lebens auf Karriere aus und hatte die Männer stets links liegen lassen. Unter meinen Freundinnen war ich als alte Jungfer verschrien. Nicht, dass es an Gelegenheiten gemangelt hätte, Gott bewahre, doch ich hatte einfach kein Interesse an ihnen. Eric war anders. Er zog meine Aufmerksamkeit auf sich, war präsent, ließ nicht locker und schließlich gab ich mich ihm hin. Die alte Jungfer ging in Flammen auf und erkannte sich selbst nicht wieder. Er stellte mich seinen Freunden der Theatergruppe vor. Eine sympathische Schar, ich lud sie gerne ein. Zum Essen und um ihre Krimi-Abende vorzuführen. Das Lokal war an jenen Abenden immer gut gefüllt, oft musste ich den Gästen sogar absagen, weil keine Plätze mehr frei waren. Wir wurden einander vertraut, oft verbrachten wir die Abende nach den Aufführungen bis spät in die Nacht hinein gemeinsam. Besonders nett war es mit Marco, dem Kopf der Gruppe. Er spielte stets den Bösewicht bei den Vorstellungen, doch im wahren Leben war er der liebste Mensch der Welt. Er stammte aus Rom, lebte doch schon lange im nahen Innsbruck. Eines Abends bemerkte ich, dass er anders war. Gedankenverloren lächelte er vor sich hin. Er vergaß plötzlich seinen Text, er, der sonst immer so perfekt gespielt hatte! Ich nahm ihn zur Seite und fragte neugierig, ob er sich vielleicht verliebt habe. Er wurde rot und antwortete: „Ja. Sie ist das Schönste, was ich je gesehen habe. Sie ist die ganz große Liebe.“, schwärmte er und wollte gar nicht mehr aufhören, von seiner Kleinen zu sprechen. So erfuhr ich von Eugenia. Doch seine traurigen Augen verrieten mir, dass dieser Liebe etwas fehlte, dass das Glück doch nicht ganz perfekt war. Ich wollte ihn nicht ausquetschen. So fragte ich Eric in der Nacht, ob er wisse, was mit Marco und seiner Freundin nicht stimmte. Er weihte mich in sein Geheimnis ein. Eugenia war ein junges Mädchen aus Bulgarien, es war nach Österreich gelockt und dort zur Prostitution gezwungen worden. Ich war angewidert von den Personen, die zu solchen Verbrechen fähig waren und empfand großes Mitleid für das junge Glück. Ich war reich, ich wollte helfen. Als ich diese Worte aussprach, viel Eric mir vor die Knie und hielt aus heiterem Himmel um meine Hand an. Ich war völlig perplex, fiel aus allen Wolken. Er flehte mich regelrecht an, ihn zu heiraten. Er stand auf, nahm mich in seine kräftigen Arme und trug mich zum Bett. „Mein Schmetterling, mein Schmetterling…“, raunte er mir ins Ohr. Immer wieder spielte er zärtlich mit der Bedeutung meines Namens, wir liebten uns wie nie zuvor, als ich schließlich unter dem Gewicht seines Körpers zum Höhepunkt kam, war es um meinen Willen geschehen. Ich stöhnte, ich wolle ihn heiraten, ich liebe ihn, er sei mein Leben. Hätte ich es nur besser gewusst…
Keine drei Wochen später waren wir verheiratet. Ich vertraute ihm blind, wollte keinen Ehevertrag. Güterteilung, ich dumme Gans! Nach gerade mal einem Monat Ehe ging es langsam aber sicher bergab mit der Liebe. Er verschwand immer öfter, sprach von Geschäftsreisen. Erst war er nur tagelang, dann sogar wochenlang unterwegs. Selbstverständlich wurde er stets gedeckt. Eines Abends, er war zufällig im Restaurant, stieß Marco zu uns. Er war bleich, schwitzte, wild gestikulierend erklärte er uns, dass Eugenias Vater gestorben sei und er ihren Ausweis zurückkaufen müsse, sie sei verzweifelt, wolle nach Hause, er konnte ihr Heimweh und ihre Trauer nicht länger ertragen. Ich hatte Mitleid. Eric zog mich in die Küche und überredete mich, Marco die 50.000 Euro für Eugenias Pass zu leihen. Nach einer kurzen Diskussion willigte ich ein. Er bürgte für Marcos Zuverlässigkeit, versicherte mir, dass wir das Geld noch vor Ende des Jahres zurückerhalten würden. Wenige Tage später ging ich zur Bank und übergab Marco das Geld. Er dankte mir überschwenglich und versicherte mir, das Geld mit den vereinbarten Zinsen zurückzuzahlen. Bei dem Wort Zinsen wurde ich endlich hellhörig. In meiner Gegenwart hatte Eric nie von Zinsen für das verliehene Geld gesprochen. Ich sagte nichts, doch dann begann ich, nachzuforschen. Eric hatte immer wieder Beträge verliehen, um sie dann mit 20% Zinsen zurückzuverlangen. Ich war entrüstet. Ich begann, ihn auszuspionieren. Ich fand heraus, dass er mich mit Nutten betrug, dass er spielsüchtig war und Heroin sniffte. Ich wollte mich scheiden lassen, doch er drohte mir mit den schlimmsten Dingen. Er schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht, tagelang konnte ich mich nicht im Restaurant blicken lassen. Mein Leben ging den Bach herunter, und das mit 65 Jahren.
Als ich schließlich herausfand, dass Eric der Kopf der Verbrecherbande war, der die jungen Mädchen aus dem Ostblock nach Österreich gelockt hatte, riss mein Geduldsfaden. Ich wollte ihn anzeigen, doch dann kam es zum Eklat: Sie hatten Eugenia vergewaltigt und kaltblütig ermordet, als Marco sie freikaufen wollte. Eric selbst hatte sich die Hände natürlich nicht schmutzig gemacht, er saß friedlich auf dem Sofa, während Eugenia geschändet und erwürgt wurde und Marco, um viele tausend Euro ärmer, die Liebe seines Lebens kalt und mit gebrochenem Blick im Bett liegend vorfand.
Ich schwor auf Rache. Ich traf mich heimlich mit Marco und wir schmiedeten Pläne. Er erzählte mir, dass er zu allem Überfluss auch noch herausgefunden habe, eine Halbschwester zu haben und dass ebendiese die Exfreundin von Eric sei. Er hatte sie betrogen, sie sitzengelassen und sie mit einer unheilbaren Krankheit angesteckt, die er sich im Urlaub in Südamerika eingefangen hatte. Sie war schwach, nicht mehr fähig, alleine zu leben, hatte bereits einen Selbstmordversuch unternommen. Er wollte ihr helfen, sie bei sich aufnehmen, ihr die letzten Jahre so würdig wie möglich gestalten. Nie zuvor hatte ich einen so gebrochenen Mann gesehen. Er hatte alles verloren: seine Liebe, seinen geglaubten Freund und selbst die eben gefundene Schwester würde bald in seiner Gegenwart sterben. Wir beschlossen, sie aus dem Krankenhaus abzuholen, sie in mein Elternhaus zu bringen, dass sich nicht weit von der Stadt befindet. Sie brauchte Abstand, eine andere, wärmere Umgebung. Als ich sie vor wenigen Tagen das erste Mal sah, musste ich unwillkürlich an einen Schmetterling denken. Ihre blauen Augen waren wie ein Flügelkleid, ihr Körper der einer Raupe. Mager, schwach, doch ihre Augen leuchteten, als Marco sie im Rollstuhl aus dem Krankenhaus fuhr und sie in mein Auto lud. Von diesem Moment an waren wir zu dritt. Drei Schmetterlinge.
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