Bemerkenswert

Der König von Tiers: Preview

In 10 Tagen ist es soweit: Filippo Magnabosco und Carmela Pasqualina ermitteln wieder. Ein verzwickter Entführungsfall führt die beiden dieses Mal ins alpine Hochgebirge – den Rosengarten. Hier eine kleine Leseprobe…

Filippo Magnabosco setzte sich an diesem Montagnachmittag mit einem lauten Ächzen auf seinen Bürostuhl. Jeder einzelne Muskel tat ihm weh und er hatte schrecklichen Hunger. Carmela Pasqualina, seine Assistentin und seit einigen Monaten auch Lebensgefährtin, hatte ihn gegen seinen Willen in einem Bozner Fitnessstudio eingeschrieben.

Pesi statt Pasta“, hatte sie ihm an diesem Morgen liebevoll ins Ohr geflüstert, einen grünen Tee und eine Schüssel ungesüßten Müslis mit entrahmter Milch vorgesetzt. „Gewichtheben statt Nudeln essen“, wozu sollte das gut sein? Magnabosco hatte sein ungewöhnliches Frühstück, das sonst aus einer Brioche und einem Cappuccino in der Bar bestand, zunächst angestarrt und dann hinuntergewürgt. Während er sich rasierte, hatte Carmela ihm erklärt, dass man ihn in der Mittagspause in einem Fitnessstudio in der Innenstadt erwarte. Magnabosco war irritiert. „Dein Personal Trainer“, hatte Carmela gesagt, ihm ein Küsschen auf den weiß umschäumten Mund gedrückt und das Bad verlassen, bevor er etwas entgegnen konnte.

Erstaunlicherweise war er an diesem Morgen voller Energie zur Arbeit gefahren – mit dem Fahrrad, wohlgemerkt.

Nun, als die Mittagspause vorbei war und Magnabosco endlich seine Vesper verzehren durfte – sie bestand aus einer Stange Sellerie, einer Biokarotte und einem Vollkornbrötchen mit kalorienarmem Frischkäse –, übermannte ihn heftige Müdigkeit wegen der sadistischen Gewichtsübungen im Fitnessstudio. Er legte das Gemüse zurück in die Lunchbox, machte die Augen zu und träumte von einem Wiener Schnitzel mit Pommes frites. Oder Knödel mit Krautsalat, so wie seine Mutter sie immer zubereitet hatte. Dann musste er an die Lasagne seiner Großmutter denken. Dieser Duft … allein beim Gedanken daran lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Gerade, als seine Beine sich zu entspannen schienen, wurde mit einem Poltern die Tür zu Magnaboscos Büro aufgeschlagen. Nothdurfter, sein Vorgesetzter, schrie ihn an und riss ihn aus dem Halbschlaf: „Magnabosco! Was ist mit Ihrem Telefon? Warum antworten Sie nicht?“

Magnabosco fing sich, stand ein wenig zu ruckartig auf und spürte ein heftiges Ziehen im Lendenwirbel, das ihn sofort wieder in den Bürostuhl zwang.

„Entschuldigung, ich habe es nicht gehört“, stammelte er und suchte den Tisch nach dem Mobiltelefon ab.

„Kein Wunder, es ist ja auch ausgeschaltet“, gab Nothdurfter zurück. „Und das während der Arbeitszeit! Aber das besprechen wir nachher in meinem Büro.“ Dann ging er beiseite und ließ einen Herrn eintreten. „Magnabosco, das ist Herr Dieter Pardeller aus Eppan. Er ist der Besitzer einer bekannten Kellerei in St. Pauls. Seine Tochter ist seit vorgestern Abend abgängig.“

„Für die Abgängigkeitsanzeigen sind die Kollegen im oberen Stock zuständig.“

„Herr Pardeller ist der Meinung, es könne sich um eine Entführung handeln. Schließlich ist seine Tochter die nominierte Weinkönigin.“

Nothdurfter bot dem Winzer einen Stuhl an, dieser setzte sich und zog einen weißen Umschlag aus seinem ledernen Herrentäschchen. Magnabosco blieb still und nickte, es brachte ja doch nichts, seinem Vorgesetzten zu widersprechen.

„Einen Moment bitte noch“, sagte er zu Pardeller, nachdem er ihm kurz die Hand gedrückt hatte, rief Carmela an und bat sie zu sich. Einige Sekunden später betrat sie schwungvoll sein Büro, drückte Herrn Pardeller freundlich die Hand und zückte einen Stift, um die Aussage des besorgten Vaters zu notieren. Zwischendurch betrachtete sie ihn mitfühlend.

„So, Ihre Tochter ist also verschwunden?“, begann Magnabosco das Gespräch.

Pardeller nickte. „Sie war am Samstagabend bei einer Weinverkostung in Kaltern eingeladen und ist nicht zurückgekommen.“

„Freunde, Verwandte, bei denen sie vielleicht untergekommen ist?“, erkundigte Magnabosco sich.

„Nein, haben wir alle angerufen. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt.“

„Hat Sie vielleicht einen Freund, von dem Sie nichts wissen?“

Carmela hob ihre linke Augenbraue und schielte zu Magnabosco herüber.

„Von dem Sie bislang nichts wussten, meinte ich natürlich“, verbesserte Magnabosco sich schnell. Er musste dringend richtige Nahrung zu sich nehmen, sonst funktionierte er nicht. Wieder roch er die Lasagne seiner Großmutter.

„Simona, also meine Tochter, ist mit Hartwig verlobt.“

„Artewigge … Nachname? Adresse?“, fragte Carmela nach.

Pardeller buchstabierte den vollständigen Namen des Mannes und nannte ihr die Adresse.

„Meine Frau wird fast verrückt vor Sorge, also finden Sie sie bitte. Außerdem wird Simona nächste Woche offiziell zur Weinkönigin gekrönt. Und in drei Wochen ist die Hochzeit mit Hartwig“, sagte Pardeller.

„Haben Sie ein Foto von Ihrer Tochter dabei?“, fragte Magnabosco.

„Ja, hier, das können Sie behalten“, antwortete Pardeller und entnahm seiner Tasche einen weißen Umschlag. Magnabosco öffnete ihn und betrachtete Simonas hübsches, strahlendes Gesicht.

„Erzählen Sie mir von Ihrer Tochter. Umfeld, Probleme, wirklich alles.“

Seine Tochter war fünfundzwanzig Jahre alt und studierte im letzten Semester Weinbau, um irgendwann in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Sie war allseits beliebt, hatte einen großen Bekanntenkreis und war sehr in Hartwig verliebt. Die beiden kannten sich schon einige Jahre und hatten nun beschlossen, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Soweit Pardeller wusste, hatte sie keine finanziellen Probleme, schließlich unterstützten er und seine Frau Elisabeth sie ja auch mit monatlichen Zuwendungen für das Studium. Außerdem konnte sie weiterhin zu Hause wohnen. Simona, die von allen nur Simmi genannt wurde, war ein fröhliches Mädchen, kannte sich im Weinbau bestens aus und schien ein rundum glückliches Leben zu führen.

„Was macht sie in ihrer Freizeit?“, fragte Carmela und knabberte an ihrem Kugelschreiber.

„Sie klettert oft und geht gern wandern“, erklärte Pardeller.

„Mit wem?“

„Mit Hartwig. Meistens sind auch seine zwei Cousins und ein paar Freunde dabei.“

„Hat sie eine beste Freundin, eine Vertraute?“, ergänzte Magnabosco. In diesem Alter erzählte man die eigenen Probleme nicht mehr seinem Vater.

„Mit einer gewissen Claudia trifft sie sich des Öfteren, zumindest hat sie sie ein paarmal beim Abendessen erwähnt. Die beiden studieren zusammen.“

„Ich brauche alle Namen und Adressen“, sagte Magnabosco und stand auf. Nun schmerzten nicht nur seine Muskeln , sondern auch sein leerer Magen. Er bat Carmela, gemeinsam mit Pardeller alle Einzelheiten an ihrem Schreibtisch aufzunehmen. Sie nickte, er verabschiedete sich von dem Winzer und schloss die Bürotür hinter ihnen. Dann stürzte er sich auf sein Vollkornbrötchen, biss hinein und stieß mit den Zähnen auf etwas Hartes. Es knirschte, ein stechender Schmerz durchfuhr Magnaboscos Oberkiefer und er konnte gerade noch die Plombe auffangen, die sich von seinem Zahn gelöst hatte.

Bemerkenswert

Kommissar Spitzweg, Erich und Pink Lady

Ein Mini-Krimi zum

Internationalen Tag der Frau

Teil Eins

Bille betrachtete sich im Spiegel. Ihre Haut hatte einen goldbraunen Schimmer angenommen, die kleinen Fältchen um ihre blauen Augen zeigten winzige letzte weiße Spuren. Seit zwei Monaten lebte sie nun hier am See, sie hatte sich so sehr danach gesehnt, das Plätschern der kleinen Wellen zu hören, ihr Glitzern in der Herbstsonne zu beobachten, bevor er im Winter zufrieren würde. Hier war sie nun, hatte ihr altes Leben mit der großen Last einfach hinter sich gelassen. Aus der verfolgten Sibylle war die freie Bille geworden. Sie wich von ihrem Spiegelbild ab, stieg die kleinen Stufen ihres Hausboots empor, legte sich an Deck und schloss die Augen. Leichter Wind kam auf, das Boot wog sie in halben Schlaf.

Zwei Jahre. Ein Mann hatte sie zu seiner Liebsten auserkoren, ohne jemals danach zu fragen, ob sie diese Liebe erwidere. Am Anfang war eigentlich alles halb so schlimm gewesen, sie hatte ihm sogar das Leben gerettet. Rettungseinsatz auf der Autobahn, er hatte seinen Wagen gegen einen Brückenpfeiler gefahren. Selbstmordversuch, Sekundenschlaf? Man wusste es nicht. Der Mann erlitt schwere Verletzungen, musste reanimiert werden, kam ins Krankenhaus, Gedächtnisverlust. Als er wieder aufwachte, war seine Vergangenheit ausgelöscht und er verliebte sich Hals über Kopf in seinen Schutzengel.

Nach mehreren Monaten durfte er das Krankenhaus wieder verlassen. Er verabschiedete sich bei Sibylle mit roten Rosen, sie freute sich und wünschte ihm alles Gute für die Zukunft. Auf seine Zuneigung war sie nicht eingegangen, hatte ihn aber stets mit Freundlichkeit bedacht. Eine Woche später wartete er nach Dienstschluss vor dem Krankenhaus auf sie und lud sie in ein Restaurant ein.

Nach dem Abendessen hatte er sie nach Hause begleitet, sie galant bis zur Haustür ihres Mehrfamilienhauses gebracht und sich dann verabschiedet. Sibylle hatte sich bedankt und kurz überlegt, ihm ein Küsschen zu geben, sich dann aber umgedreht. Nein, keine Affäre mit Patienten, auch keine mit ehemaligen Patienten. Er war eh nicht so ganz ihr Typ und sie verspürte keine Schmetterlinge im Bauch. Es war einfach nur ein netter Abend gewesen.

Zwei Wochen lang war nichts passiert. Sibylle hatte ihn eigentlich schon längst wieder vergessen, als sie in ihrem Briefkasten zwei Eintrittskarten ihrer Lieblingsband fand. „Nimmst du mich mit?“, stand auf einem Post-it, den er auf die Karten geklebt hatte. Wie war er an diese Tickets gekommen? Das Konzert war seit Monaten ausverkauft. Innerlich jubelte sie, wusste aber nicht so recht, wie sie sich dafür bedanken sollte. Seine Telefonnummer hatte sie nicht.

Teil Zwei

Kommissar Erich Spitzweg schritt langsam über den Holzsteg, der durch das Biotop am Seeufer führte. Die Luft war noch warm, die Herbstsonne erhitzte den See, es roch nach den ersten fallenden Blättern. Eine Ente flog auf, als Spitzweg stehen blieb. Irgendwo gluckste es, als ein Karpfen nach Luft schnappte. Die Touristin, die den Leichnam entdeckt hatte, stand mit blassem Gesicht an der Brüstung, die den Holzsteg umgab. Ihre Augen waren geweitet, sie zitterte und hielt sich den Bauch.

  • Bringen Sie sie weg, bat Spitzweg seinen Kollegen., Bevor sie uns noch ins Wasser kippt oder den Tatort versaut.

Die Tauchereinheit hatte die Wasserleiche geborgen und bereits in den Aluminiumsarg gelegt. Erich Spitzweg hielt sich sein mit Lavendelöl getränktes Taschentuch vor Mund und Nase und betrachtete ihn eingehend. Auf den ersten Blick konnte er keine Schuss- oder Schnittwunden feststellen. Auch sein Hals war anscheinend unversehrt.

  • Woran ist er gestorben?, fragte Spitzweg.
  • Erst obduzieren, antwortete der Gerichtsmediziner.
  • Seit wann ist er tot?
  • Mindestens vierundzwanzig Stunden, er ist genauso kühl wie der See.

Eine Wasserleiche behielt viele Geheimnisse für sich, die meisten Beweise versanken in den glitzernden Wellen. Spitzweg blieb, nachdem die Kollegen von der Spurensicherung abgezogen waren. Er beschloss, den See einmal zur Gänze zu umrunden, vielleicht hatte das stille Wasser ja etwas an Land geschwemmt.

Die Sonne wurde schwächer, als Spitzweg das Biotop verließ und die breite, befahrbare Uferstrecke zwischen den Apfelbäumen betrat. Der Herbstduft mischte sich mit dem der gefallenen Äpfel. Spitzweg hob einen auf und biss hinein. Pink lady, dachte er, und sah einer jungen Frau nach, die in einem strahlend rosafarbenen Kleidchen noch einen Abendspaziergang machte. Die junge Frau drehte sich zu ihm um, nickte freundlich und erstach ihn fast mit ihren blauen Augen.

Teil Drei

Sibylle hatte nach dem Fund der Konzerttickets notgedrungen beschlossen, einfach nichts zu tun. Was hätte sie auch machen sollen? Sie kannte nur seinen Namen, die Datei der ehemaligen Patienten durfte sie ohne die Zustimmung ihrer Vorgesetzten nicht öffnen. Sie ließ die Tage bis zum Konzert vergehen und ging davon aus, es alleine zu besuchen. Als sie an besagtem Abend vor die Haustür trat, war niemand da. Sie sah sich nach einem Auto um, fand aber keines. Sie machte sich auf den Weg zum Busbahnhof, auch hier konnte sie ihren Gönner nirgendwo entdecken.

Sie genoss die Musik und die Stimmung, das Konzert war ausverkauft, ein voller Erfolg. Wie sehr hatte sie die Lieder dieser Gruppe vermisst, wie sehr die raue Stimme des Frontsängers, der in seinen Liedern die Liebe verteufelte. Dann kam es, das langsame Stück, Sibylle schloss die Augen, ihr Herz schlug im Takt mit, sie sang leise, wiegte ihre Hüften, bemerkte nicht einmal die Hände, die sich um ihr Becken legten. Sie tanzte, fühlte nichts in ihrem Rausch, bis eine sanfte Stimme in ihrem Ohr sie zusammenzucken ließ.

  • Du hast mich nicht mitgenommen.

Sibylle schrie auf vor Schreck, drehte sich brüsk um und starrte in das Gesicht ihres ehemaligen Patienten.

  • Ich…, versuchte sie, sich zu erklären.
  • Du bist undankbar, Sibylle.
  • Aber… ich habe dich gesucht…, stammelte sie.
  • Sieh dich um. Und sieh dich vor.

Mit diesen Worten verschwand er in der Menschenmenge. Sibylle blieb wortlos und mit pochendem Herzen zurück. Undankbar? Sie verspürte das dringende Bedürfnis, ihm hinterher zu rennen und ihm die Meinung zu sagen. Dann kam die Unsicherheit, gefolgt von der ersten Angst. Diese letzten zwei Sätze: Sieh dich um und sieh dich vor.

Mulmig begab sie sich auf den Heimweg. Als sie vor ihrer Haustür stand, konnte sie ihren Schlüssel nicht sofort finden und bemerkte, dass die Tür nur angelehnt war. Sie hatte doch abgeschlossen, da war sie sich sicher.

Teil Vier

 „Hauptkommissar Erich Spitzweg“, sagte er laut und betrat den Holzsteg, der im See endete. Die junge Dame in pink saß dort, die Füße baumelten in den glitzernden Abendwellen.

„So so“, sagte sie, „Der Spitzweg-Erich. Was kann ich für Sie tun, Herr Hauptkommissar?“

Spitzweg schmunzelte, wie oft hatte er diesen Witz schon über sich ergehen lassen? Aus ihrem Mund jedoch klang er süßer und weniger bitter als das Kraut, das denselben Namen trug.

„Man hat hier im Biotop einen Toten gefunden. Da Sie ja hier weilen, wollte ich fragen, ob Sie vielleicht etwas beobachtet haben, Frau…?“

„Bille“, antwortete sie und streckte ihm die Hand entgegen. Als Spitzweg sie zum Gruße annahm, ließ sie ihn nicht los, sondern hielt sich an ihm fest, um aufzustehen. Mit einem Mal hatte sich der Abstand zwischen ihnen auf wenige Zentimeter reduziert. Er roch ihren Apfelatem. Pink Lady.

„Kommen Sie mit. Ich habe Hunger. Beim Essen erzähle ich Ihnen, was ich hier so tagtäglich beobachte.“

Spitzweg nahm ihre Einladung verblüfft an. Bei einem Glas Weißwein, gegrilltem Seebarschfilet und bunt gemischtem Gartensalat verliebte er sich in Bille.

„Ich beginne gerade ein neues Leben, Herr Spitzweg-Erich“, raunte sie, als sie sich von ihrem Gast verabschiedete. „Verraten Sie niemandem, dass ich hier bin. Auch Ihrer Leiche nicht.“

Weinseelig verabschiedete Spitzweg sich von ihr und träumte in dieser Nacht von seeblauen Augen.

Bille legte sich an Deck und sah hinauf in den herbstlichen Sternenhimmel. Eine verspätete Sternschnuppe huschte vorbei, dann noch eine. Sie dachte an jene Nacht nach dem Konzert, als sie ihre unverschlossene Haustür vorfand. Beunruhigt war sie eingetreten, hatte damit gerechnet, dass man ihr auflauerte. Von den räuberischen Banden hatte sie gehört, sie befürchtete, ausgeraubt worden zu sein. Doch nichts dergleichen war geschehen, alles war an seinem Platz, auch das wenige Bargeld in ihrer Schublade fehlte nicht. Sie schloss die Haustür mehrmals ab, legte sich ins Bett und fand doch keinen Schlaf. Mehrere Wochen vergingen, der Patient meldete sich nicht mehr. Bille beruhigte sich und vergaß ihn. Fast.

Teil Fünf

 „Kanntest du diesen Mann?“, fragte Spitzweg und legte Bille ein Foto der Leiche zu Lebzeiten vor. Er war der Polizei nicht unbekannt: man hatte ihn wegen Nötigung angezeigt. Bille nickte.

„Ja“, sagte sie. „Aus der Hölle.“

Bille erklärte sich, während das Hausboot auf den See hinausschaukelte. Sie sprach von dem schlimmen Autounfall, von dem Konzert, von seinen Avancen, von der offenen Wohnungstür. Erzählte ihm, wie er erst untergetaucht war und dann eines Abends inmitten von hundert roten Rosen in ihrer Wohnung saß und mit einem Ring um ihre Hand anhielt. Wie sie es schaffte, zu flüchten. Wie sie umzog, sich nicht mehr zur Arbeit traute und ihren Job verlor. Wie sie sich von ihren Freunden entfernte, bis sie nicht mehr nachfragten. Wie sie vereinsamt in eine andere Stadt zog und eines Tages eine Grußkarte von ihrem „Lieblingspatienten“ bekam.

Erich Spitzweg hörte ihr einfach nur zu. Er wusste, dass bald ein Geständnis folgen würde. Wind kam auf, am Horizont ballten sich dunkle Wolken zu einem heftigen Sommergewitter zusammen.

„Eines Tages besuchte ich meine Eltern. Als ich vom Spaziergang zurückkam, sagte meine Mutter, dass ein Freund von mir da sei. Da saß er dann, im Wohnzimmer, und prostete meinem Vater zu. Was für ein netter junger Mann, sagte meine Mutter, und bereitete das Abendessen zu. Ich hatte ihnen nichts von meinem Stalker gesagt, da ich sie nicht beunruhigen wollte.“

Die ersten dicken Tropfen klatschten auf Spitzwegs Kopf, sie stiegen unter Deck. Der Regen schlug gegen die Bootwände, der Wind schob es auf die Seemitte hinaus. Ein Blitz schlug irgendwo ein, es krachte, Bille erschrak und suchte Halt an dem Hauptkommissar. Spitzweg hielt sie, dann küsste er sie zum ersten Mal.

„Sprich nicht weiter, Bille. Ich werde morgen früh von Bord gehen. Und du wirst dir ein neues Gewässer suchen müssen.“

Bemerkenswert

Back in town!

Vor einem Monat hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, einen meiner Krimis in meiner Heimatstadt Breisach am Rhein vorzulesen. 

Es wurde Großartiges geleistet: die Stadtbibliothek Breisach hat den Abend perfekt organisiert und selbst dann noch Stühle für die Besucher hervorgezaubert, als eigentlich schon gar keine mehr da waren.

Die Pressearbeit des Reblandkurier und der Badischen Zeitung war enorm und hat sehr viel mehr Besucher angelockt, als ich mir je erträumt hätte.

Meine Familie hat mit vereinten Kräften mitgeholfen, ein Südtirol-Buffet aufzubauen. Ich durfte einen wundervollen, aufregenden Abend mit vielen alten Bekannten erleben und ihnen endlich meinen neuen Kommissar Filippo Magnabosco und seine Assistentin Carmela Pasqualina vorstellen. Dafür noch einmal ein ganz großes Dankeschön!

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Die Taten der Opfer: Ein Blick zwischen die Zeilen

Teil 3: Darf ich vorstellen? Anne Marschall

Ihre ursprüngliche Rolle in „Annes Schwester“ und ihre heutige Figur in „Die Taten der Opfer“

Ich habe dem Roman „Die Taten der Opfer“ einen Spitznamen verpasst und ihn „Annes Schwester reloaded“ genannt. Anne Marschall wurde bereits im Jahre 2015 erfunden, und zwar als Mörderin in dem Thriller „Annes Schwester“: Was mit einem Ideenwettbewerb für ein neues Buch beginnt, führt zu furchtbaren Erinnerungen an eigene Mobbing-Erfahrungen in der Schule und dem bösen Erwachen, als sie aus der Zeitung von rätselhaften Morden an mehreren Schülerinnen erfährt.

Die neue Anne Marschall hat mit ähnlichen Erinnerungen zu kämpfen. Eines schönen Tages erhält sie die Einladung zum dreißigjährigen Klassentreffen. Sie selbst war die Außenseiterin der Klasse im Mädcheninternat, weil sie sich mehr für Geschichte, Religion und das Mittelalter als für das moderne Leben pubertierender junger Damen interessierte. Man hänselte sie, schlug sie, verachtete sie, verletzte ihr Gesicht und entstellte sie für immer. Anlass genug für unsere Protagonistin, sich ganz im Sinne ihrer Liebe zum Mittelalter an ihren Widersacherinnen zu rächen.

Anne Marschall wird als eine Frau mit mehreren Gesichtern dargestellt. Sie ist die in sich gekehrte Autorin, die sich ihre eigene Welt in ihrer kleinen Wohnung im Brixner Stadtteil Stufels geschaffen hat. Sie ist die gute Freundin ihrer Assistentin Marlene Pittscheider, deren Leben sie gerettet hat und um die sie sich nun fast mütterlich kümmert. Sie ist eine Verehrerin Oswald von Wolkensteins und eine Vertreterin mittelalterlicher Lasten und Tugenden.

Und sie ist ein Opfer ihrer Vergangenheit, die sie wiederum zur Täterin macht.

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Die Taten der Opfer: Ein Blick zwischen die Zeilen.

Teil 2: Darf ich vorstellen? Kommissar Filippo Magnabosco

Filippo Magnabosco und das ewige Pech

Jeder Mensch hat einen Begleiter im Leben. Das kann ein guter Freund, ein Ehepartner, ein Hund sein, vielleicht auch einfach nur ein Lied oder ein Gefühl, das uns für immer treu bleibt. Auch Filippo Magnabosco hat einen Compagnon: sein stets präsentes Pech, das ihn niemals im Stich lässt.

Gleich zu Beginn des Buches, als unser neuer Kommissar sich vorstellt, findet er die Mahnung der Telefongesellschaft im Briefkasten, bemerkt, dass er in einen Hundehaufen getreten ist, vergisst seinen Schlüssel, wartet auf seine Freundin, die ihn eigentlich verlassen will und verpasst, dass seine Fußballmannschaft glamourös absteigt. Aber Magnabosco nimmt es gelassen, nichts kann ihn aus der Ruhe bringen.

Diese Pechsträhne verfolgt Filippo Magnabosco schon Zeit seines Lebens. Als er zum ersten Leichenfundort gerufen wird, erinnert er sich an seine Jugend. Ein Mädchen hatte er ausführen und sie auf einer Parkbank am Brixner Eisackufer küssen wollen, doch sie zierte sich und lief davon. Als er schließlich traurig und frustriert nach Hause kam, standen ihre Schuhe vor der Zimmertür seines Bruders. Und nun ist da Clara, die Frau mit der er eine On-Off-Fernbeziehung der besonders komplizierten Art unterhält. Sie verlässt ihn, kommt zurück, kann nicht ohne ihn und nicht mit ihm leben. Gut, dass es da noch die eine gibt, die Magnabosco von nun an begleiten wird, egal, ob er will oder nicht: Carmela Pasqualina, seine neue Partnerin, die vielleicht doch nicht ganz so übel ist, wie Magnabosco zunächst befürchtete.

Und hier geht’s zur Lauschversion:

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Die Taten der Opfer: Ein Blick zwischen die Zeilen

Teil 1: Darf ich vorstellen? Kommissar Filippo Magnabosco!

Spannendes Hintergrundwissen für Fans der Südtirol-Krimis:
In diesem siebenteiligen Podcast-Special wird wöchentlich Neues über die Protagonist:innen des Romans „Die Taten der Opfer“, über die spektakulären Schauplätze in ganz Südtirol, und auch über die faszinierende historische Figur des Minnesängers und Ritters Oswald von Wolkenstein, der Pate für den Bösewicht des neuen Südtirol-Krimis stand, verraten.

Hier geht’s direkt zum Podcast: https://castbox.fm/app/castbox/player/id4941647?v=8.22.11&autoplay=0
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Schreibroutine – Teil 2

zum Podcast: https://cloud.simonedark.de/index.php/s/KQGmXMADJ8DRcL2

Der Bozen-Krimi im Raetiaverlag: Das Gefühl, am richtigen Ort angekommen zu sein.

Wir machen einen Zeitsprung ins Jahr 2021. Ich hatte bereits ein Buch veröffentlicht, es lag und liegt in den Buchhandlungen aus. Mit Edition Raetia hatte ich mich auf ein Buchprojekt geeinigt, dann kam die wunderbare Anfrage, die Reihe der Bozen-Krimis zu übernehmen, sprich, die Drehbücher in handliche Romane zu verwandeln. Das Rezept dafür: Es muss draußen dunkel sein (das braucht die Dark, sonst hieße sie nicht so), die richtige Playlist (ja, ich gebe es an dieser Stelle zu: ich habe mir Spotify noch immer nicht heruntergeladen sondern benutze Youtube, so richtig retro), ein wenig Kerzenlicht (wie altmodisch und gefährlich!) und… nein, keine Feder mit Tinte, sondern einen PC mit Officepaket. All dies führt in den besten Fällen zur richtigen Schreibstimmung. Nun nehme man das Drehbuch mit den Dialogen und Regieanweisungen und formuliere es so, dass es zu einem Fließtext wird.

Wenn man frische Luft braucht, lohnen sich Ausflüge an die Drehorte. Der Bozen-Krimi ist ja bekanntlich ein Zusammenschnitt vieler schöner Südtiroler Ortschaften, die man jederzeit besichtigen kann. Bei „Verspieltes Glück“ habe ich mich in Meran, Langfenn und in Eppan umgesehen, die Luft dort eingeatmet, die Geräusche und Gerüche verinnerlicht, Fotos gemacht, die Eindrücke mit nach Hause genommen und dort zu Papier gebracht. Manchmal in wenigen Zeilen, manchmal wurden daraus sogar zusätzliche Kapitel.

Dann die Sache mit den Charakteren, die die Schauspieler verkörpern. Immerhin haben wir es mit dem Bozen-Krimi zu tun, da sind Chiara Schoras, Gabriel Raab, Hanspeter Müller-Drossaart, Stefano Bernardin und viele weitere Größen der Filmbranche beteiligt. Sie sind Polizisten, Ermittler, Bösewichte, zeigen Freude, Traurigkeit, Schwäche, Stärke, Macht und Ohnmacht: All dies musste in den Roman mit hinein. Ich musste diese Menschen, die sie darstellen, kennenlernen, also sah ich mir die älteren Bozen-Krimis an und beobachtete ihre Entwicklung. Ein direktes Treffen mit den Schauspielern am Set hingegen habe ich vermieden. Nicht, weil es mich nicht interessiert hätte, aber ich wollte ihnen gegenüber neutral bleiben. Und außerdem: Sie sahen mir beim Schreiben ja auch nicht über die Schulter 😉.

Noch drei kleine Gänsehautmomente, die ich euch keinesfalls vorenthalten möchte: Der erste kam zwei Wochen vor der Veröffentlichung zustande, als Felix, Projektleiter der Edition Raetia, mir das Büchlein mit einem Lächeln in die Hand drückte und ich mit dem Team anstoßen durfte. Der zweite, als ich den Bozen-Krimi dann im Fernsehen verfolgte, und bereits alle Details des Films kannte. Und der dritte, als ich den Roman leibhaftig in der Buchhandlung entdeckte. Und da behaupte mal noch einer, Bücher seien nichts Aufregendes!

Vielleicht habt ihr ja jetzt auch Lust, euch auf eine „kriminelle“ Reise durch Südtirol zu begeben?

Viel Spaß dabei wünscht euch: Eure Simone.

Schreibroutine – Teil 1

Lange, lange ist es her… ein Bild aus dem Jahre 2013.

Hier geht’s direkt um Podcast:

https://cloud.simonedark.de/index.php/s/HJ2Zqkxc2tt3NYS

Zu den Fragen

Wann hat das eigentlich mit dem Schreiben bei dir angefangen?

Wie schreibst du?

möchte ich in den nächsten Podcasts ein bisschen aus meinem Federmäppchen plaudern. Ein Nähkästchen besitze ich nämlich leider nicht.

Zu ersten Frage. Nun, „das mit dem Schreiben“ muss so etwa in meinem sechsten Lebensjahr begonnen haben, als man es für sinnvoll erachtete, mich zur Schule zu schicken. Man brachte mir einen Buchstaben nach dem anderen bei und bald konnte ich daraus erste Worte und dann sogar Sätze bilden 😊. Scherz beiseite, diese Schinderei haben wohl die meisten von uns mitgemacht. Also, Hand aufs Herz: Die ersten Kurzgeschichten habe ich bereits im süßen Alter von etwa vierzehn Jahren verfasst, als ich mich unsterblich in einen Kerl verliebt hatte. Ich habe ihm die heftigsten Liebesdramen gewidmet, schade nur, dass er es nie mitbekommen hat und ich zu schüchtern war, sie ihm zu unterbreiten.

Mit dem Studium wurde das emotionale Schreiben dann weniger und ich konzentrierte mich auf technische Texte. In sechs Unijahren erlernte ich das Übersetzen italienischer und französischer Rechtstexte, Bedienungsanleitungen, Zeitungsartikel usw. Gleich nach dem Studium verschlug es mich nach Südtirol, wo ich dann meine Berufung zum Beruf machte.

Vor knapp zehn Jahren holte mich das kreative Schreiben allerdings wieder ein. Es war im Oktober 2013, als ich in einer einsamen Stunde plötzliche Lust auf eine Lovestory verspürte und dieser auch nachgab. Der ersten Liebesgeschichte folgte eine zweite, daraus wurden so viele, dass es tatsächlich für ein kleines Taschenbuch reichte. Doch was tun mit einem Manuskript, an dem eigentlich keiner so recht interessiert ist? Klar: Selfpublishing war angesagt. Ich muss allerdings sagen, dass dies ein nicht besonders lohnender Knochenjob war, den ich bald wieder hinschmiss.

Es war also an der Zeit, die Strategie zu ändern. Ich versuchte zunächst, den Buchmarkt als solches zu verstehen und merkte bald, dass Autoren ohne Verlag überhaupt keine Chance haben. Dann gab es da noch Agenten, die sich für viel Geld darum kümmerten, dass das eigene Manuskript irgendwo angenommen wird. Auch hier galt: no money, no chance. Und money hatte ich zu jener Zeit echt so gar keins. Also versuchte ich es auf bei regionalen Verlagen und wurde tatsächlich angenommen.

Und in der nächsten Ausgabe erzähle ich euch dann, wie „das mit dem Schreiben“ tatsächlich funktioniert.

Bis bald,

Eure Simone.

Bemerkenswert

Nur ein paar Worte zum Bozen Krimi, so schwer kann das doch nicht sein …

Ein paar persönliche Worte, meinte mein Projektleiter, wären doch ganz nett, da freuen sich die Leser:innen ganz bestimmt. Ja klar, antwortete ich, mach ich gerne. In diesem Moment wusste ich allerdings noch nicht, wie schwierig es sein würde, diese auch zu finden.

Wo soll ich anfangen? Nun, die Sache mit dem Bozen-Krimi begann eigentlich mit einer gewaltigen Überraschung vor genau einem Jahr. Ich war, glaube ich, gerade damit beschäftigt, die Wohnung zu putzen, als – pling – eine E-Mail hereinkam. Absender war die Edition Raetia, mit der ich mich gerade erst zur Besprechung eines neuen Krimiprojektes getroffen hatte.

Ich öffnete die Post und musste mich erstmal setzen: Da öffnet sich ein neues Krimifenster, schrieb mir der Verleger. Hätten Sie Lust (ja, damals haben wir uns noch förmlich gesiezt), die kommenden Bozen-Krimi-Drehbücher in Romane zu verwandeln? Ich prüfte noch einmal das Datum, nein, wir hatten März, es war also kein Aprilscherz. Ich schrie: „Jaaaaa!“ Ich schrieb: „Ja.“ Mein Glück über dieses grandiose Angebot konnte ich noch lange Zeit nicht fassen.

Es folgte ein schreibintensives Jahr. Nicht nur der eigene Krimi musste fertig werden, sondern auch zwei Folgen der Bozen-Krimis, die 2022 in der ARD ausgestrahlt werden würden. Die Arbeit bestand darin, aus den bereits vorliegenden Drehbüchern Romane zu schreiben, mich in die Darsteller:innen der Fernsehserie hineinzuversetzen, mir die Schauplätze anzusehen und viel Südtiroler Flair in die Handlung zu bringen. Die enge und vertraute Zusammenarbeit mit Felix Obermair von der Edition Raetia, den ich an dieser Stelle unbedingt namentlich nennen möchte, verwandelte diesen Arbeitsberg in ein dynamisches, interessantes und bereicherndes Projekt.

Und nun ist es endlich soweit: Das Manuskript des Bozen-Krimis „Verspieltes Glück“ wurde korrigiert, gelayoutet, gedruckt, mit einem wunderschönen Cover versehen und liegt ab heute in den Buchhandlungen auf. Und wenn ihr zufällig schon in die Fernsehzeitung geschaut habt, habt ihr vielleicht auch entdeckt, dass genau heute Abend um 20:15 Uhr die gleichnamige TV-Folge in der ARD zu sehen ist. Worum es geht? Um einen erstochenen Holzschnitzer, komplizierte Familienbande, verzweifelte Mütter und einen Schlag gegen die Mafia, bei dem über Leichen gegangen wird. Kein leichter Fall für Sonja Schwarz und ihre Kollegen Kerschbaumer Junior und Senior.

Der Holzschnitzer Vitus Höllrigl liegt erstochen in seiner
Werkstatt. Doch offenbar hat noch jemand versucht, ihn
zu retten. Also Mord im Affekt?
Kommissarin Sonja Schwarz und ihr Kollege Jonas Kerschbau-
mer müssen nicht lange nach Verdächtigen suchen, denn durch
seine Spielsucht brachte Höllrigl viele gegen sich auf. Beim Ho-
telier Staffler hatte der Ermordete hohe Schulden.
Privat entfremdet sich Sonja immer mehr von Riccardo Riello,
da dieser bereit ist, sehr weit – für Sonja zu weit – zu gehen, um
den entscheidenden Schlag gegen den Mafiaboss Lagagna zu
führen.

Angenehmes Lauschen, einen spannenden Fernsehabend und eine gute Lektüre wünscht euch: Eure Simone. 

https://cloud.simonedark.de/index.php/s/BiRbYKRW8CeAs6M

Paul und die Sache mit der ewigen Liebe

14. Juli

Guten Abend.

Ich versuche gerade, zum ersten Mal in meinem Leben ein Tagebuch mit sinnvollen Worten zu füllen. Man bedenke, dass ich inzwischen fünfundvierzig Jahre alt bin und außer Steuererklärungen und Officemails in meinem bisherigen Leben vielleicht zehn Postkarten geschrieben habe. Es ist nicht einfach, plötzlich über persönliche Dinge zu schreiben, mal abgesehen von „Schönes Wetter, es geht mir gut, Grüße und bis bald, dein Paul.“. Ja, ich muss zugeben, ich tue mich gerade richtig schwer damit.

Vielleicht wäre es sinnvoll, mich erst einmal vorzustellen. Ich heiße Paul. Ich wohne und arbeite in einer kleinen Stadt in Südtirol, in der jeder jeden kennt. Und in der jeder alles von jedem weiß, egal, ob es denjenigen etwas angeht oder nicht. Ich arbeite als Steuerberater. Gähn, werden Sie sagen, was für ein Langweiler. Ein wahrer Sesselfurzer, was will der mir schon von seinem Leben zu erzählen haben. Warten Sie es einfach ab.

Ich schreibe ein Tagebuch und mir ist durchaus bewusst, dass die förmliche Anrede in diesem Rahmen nicht unbedingt üblich ist. Aber wen soll ich denn anschreiben, das Tagebuch selbst? Das ist doch kindisch. Ein Buch kann man schreiben, ein Buch kann man lesen, aber man kann nicht mit ihm sprechen. Oder gar Gefühle für ein Buch entwickeln. „Sie werden dieses Buch lieben“ – diese Aussage kann ich nicht ausstehen. Man kann ein Buch gut finden, es kann Emotionen in uns hervorrufen, alles schön und gut. Aber gegenüber einem Buch von Liebe sprechen? Nein. Ich kann einen Menschen lieben. Ich kann mich selbst lieben. Ich kann im weitesten Sinne auch ein Haustier lieben. Aber ich kann keine Ansammlung von Wörtern auf unzähligen Blättern oder gar eine Pdf-Datei lieben. Das ginge zu weit.

Ich schweife ab, mein ewiges Manko manifestiert sich bereits auf der ersten Seite dieses Tagebuchs. Ich bitte um Pardon. Wie gesagt, ich heiße Paul, ich bin Steuerberater, ich wohne in Südtirol und bin eigentlich ein eher langweiliger Typ. Mit einer eher langweiligen Ehefrau, die seit Monaten nicht mehr viel von mir wissen will. Und ich bin ein langweiliger Typ mit einer aufregenden Geliebten, die eine ganze Menge von mir wissen will. Diese Geliebte ist eine Augenweide, die schönste Frau, die weichste Frau, die wohlduftendste Frau, die süßeste Frau, die mir in meinem Leben je begegnet ist. Naja, abgesehen von der Kinderfrau meines kleinen Bruders, in die ich mich mit vierzehn Jahren verknallt habe. Aber die hat meine Liebe nie erwidert. Trotz der Schokopralinen, die ich ihr mit meinem Taschengeld im Supermarkt gekauft hatte.

Meine Frau heißt Klara. Meine Geliebte heißt Bianca. Und ich muss mich nun wohl zwischen der Transparenten und der Weißen entscheiden. Glauben Sie mir, der Weg zu dieser Entscheidung ist ziemlich holprig. Ich danke Ihnen, dass Sie ihn mit mir beschreiten. Natürlich können Sie zwischendurch abspringen, wer wäre ich denn, Sie aufzuhalten? Sie können mich natürlich auch sofort zum Teufel schicken, ich könnte es Ihnen nicht verdenken. Oder Sie kommen eben mit und lernen mich und meine beiden Frauen kennen. Transparent oder Weiß, was sagen Sie?

 

16.Juli

Guten Abend.

Sind Sie noch wach oder schlafen Sie schon? Ich frage nur, weil es bereits nach dreiundzwanzig Uhr ist, da könnte es natürlich sein, dass Morpheus Sie bereits in seinen Armen wiegt. Ich bin noch wach, wie Sie sehen, und ich werde heute Nacht vermutlich auch nur wenig schlafen, falls ich überhaupt einschlafen sollte. Das liegt einerseits an der Sommerhitze, andererseits an der Schnake, die ich nicht erwische und drittens an dem unbequemen Sofa, das nun mein Schlafplatz ist. Klara hat mich nämlich aus dem Ehebett verbannt.

Wir waren heute Abend gemeinsam essen. Sie schöpfen nun bestimmt Hoffnung, dass ich mir und Klara eine neue Chance geben möchte, doch Sie irren sich. Darum ging es nicht. Ich wollte nur eines: Klaras Aufmerksamkeit. Und zwar ihre ganze Aufmerksamkeit ohne störende Freundinnen, ohne den lästigen Yogakurs, den sie seit Kurzem wie vernarrt besucht und ohne ihre Diätpläne. Sie hat nämlich sonst nicht viel im Kopf. Naja, von ihrer Arbeit einmal abgesehen. Jedenfalls habe ich meine Frau in ein nobles Restaurant in Brixen ausgeführt und konnte tatsächlich einige klärende Worte mit ihr wechseln. Ich hatte mir natürlich erhofft, dass sie mit Verständnis oder wenigstens sachlich reagieren würde, doch dem war nicht so.

Ich sagte Klara, dass ich die Scheidung wolle. Klara sagte zunächst nichts, sie starrte mich einfach nur an. Dann fragte sie mich, ob ich spinne.

„Nein“, sagte ich, „ich spinne nicht. Ich möchte, dass wir uns scheiden lassen. Es ist aus“, sagte ich.

Klara nahm ihr Glas mit dem teuren Lagrein und spülte ihn in zwei kräftigen Schlucken herunter. Sie sprach nicht mit mir, sie aß einfach nur weiter, sie reagierte völlig mechanisch. Fast wie ein Computer, dessen Software nicht reagiert, weil die Festplatte überlastet ist. Ich wartete darauf, dass sie Fragen stellte. Wollte sie denn nicht einmal wissen, warum ich mich scheiden lassen wollte? Ich war ihr also tatsächlich egal, war meine Schlussfolgerung. Ich war erleichtert und enttäuscht und aß mein Steak zu Ende. Es war so zäh wie meine Ehe.

Als wir schweigend nach Hause kamen und ich mich neben meine Nochehefrau legen wollte, sagte sie nur, geh weg.

„Wohin?“ fragte ich sie überrascht.

„Das ist mir egal. Aber bleib nicht bei mir. Dein Platz ist nun nicht mehr bei mir. Schließlich willst du mich ja nicht mehr.“

Ich erhob mich und nahm meinen neuen Schlafplatz auf dem Sofa ein. Das Sofa vermittelt mir ein seltsames Gefühl: Freiheit. Die Freiheit, zu gehen. Die Freiheit, meine Frau Klara zu verlassen und zu Bianca zu gehen. Von der durchsichtigen Frau zu der weißen Frau. Ist ihnen eigentlich schon einmal der gehörige Unterschied zwischen Transparenz und Weiß aufgefallen?

 

23. Juli

Guten Abend.

Klara hat drei Tage und Nächte lang nicht mit mir gesprochen. Sie hat mich nicht einmal mehr angesehen. Gestern Abend hat sie mir in den paar Minuten, die wir miteinander in der Küche verbrachten, automatisch den Korkenzieher gereicht und mir die Gläser in die Hand gedrückt. Wortlos, aber immerhin eine gewohnte Geste, für die ich ihr dankbar war. Ich war ungeschickt und habe eines der Gläser auf den Küchenboden fallen lassen, es zersprang natürlich in tausend kleine Scherben. Ich wollte sie mit der bloßen Hand auflesen und schnitt mich. Klara beugte sich mit einem Tuch zu mir herunter und saugte das Blut von meinem rechten Zeigefinger. Plötzlich war da diese Wärme ihres Mundes an meinem Finger. Ich zuckte erst zusammen, nahm ihn aber nicht weg. Ich wünschte mir plötzlich, sie würde meine Fingerspitze nicht mehr loslassen. Der Moment war schnell vorbei, sie nahm ein Pflaster aus der Schublade und verband meinen Finger. Dann aßen wir wortlos. Später gingen wir schlafen, sie im Schlafzimmer, ich auf dem Sofa. Ich hätte das Pflaster längst abnehmen können, aber ich wollte nicht, obwohl es vom häufigen Händewaschen und den alltäglichen Berührungen mehr als hässlich geworden ist.

Als ich heute Abend nach Hause kam, war Klara nicht da. Ich suchte nach ihr, hatte schon den Verdacht, sie sei heimlich zu einer ihrer Freundinnen gezogen, doch ihre Sachen waren alle noch hier. Nur sie nicht. Die Wohnung war leer, warm, kalt. Ich setzte mich vor den Fernseher und schaute einen Krimi an. Ich wartete, ich konnte nicht schlafen. Ich wollte mich auf den Film konzentrieren, aber ich konzentrierte mich nur auf das schmutzige Pflaster an meinem rechten Zeigefinger. Gegen zwei Uhr nachts kam Klara dann nach Hause. Sie war bester Laune und stark betrunken. Ich brachte sie ins Bett, zog ihr die Schuhe aus und deckte sie zu. Sie sprach noch immer nicht mit mir, aber das war egal. Ich war einfach nur froh, dass sie wohlbehalten wieder nach Hause gekommen war.

Bianca habe ich seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Ich habe ihr auch nicht geschrieben, sie ist derzeit bei einem Kurs in Mailand, da will ich nicht stören. Ich habe auch keine Lust, sie jetzt mit meiner neuen, seltsamen Freiheit zu überrumpeln. Ich muss mich erstmal selbst mit ihr zurechtfinden. Es ist gar nicht so einfach, sie zu genießen, glauben Sie mir.

Ich muss ihnen etwas gestehen. Ich habe heute Abend zwar den Krimi im Fernsehen laufen lassen, ich habe ihn aber nicht im Geringsten verfolgt. Ich habe mir stattdessen das Fotoalbum unserer Hochzeit angesehen. Ein Album voller glücklicher Gesichter. Ich musste an den Priester denken, vor dem wir uns die ewige Liebe versprochen hatten. Aber Sie wissen ja, es ist eben so eine Sache mit der ewigen Liebe.

 

31. Juli

Guten Abend.

Nein, es ist kein guter Abend, für mich zumindest nicht. Ich war nach der Arbeit noch ein wenig im Zentrum. Mir war nach einem Eis und einem kleinen Spaziergang. Ich ging durch Brixens kleine Lauben, betrachtete die Auslagen in den Schaufenstern und aß ein Vanilleeis. Dann schlenderte ich über den Domplatz und suchte Schatten im Kreuzgang. Da sah ich sie: Klara. Sie war nicht allein, sie spazierte vor mir Hand in Hand mit einem Mann. Ich war außer mir vor Wut. Ich rannte zu den beiden und nahm Klara bei der Schulter, wirbelte sie zu mir herum, sie schrie. Dann sah ich in ihr Gesicht und erkannte, dass die Frau nicht Klara war. Ich entschuldigte mich tausendmal bei dem zu Tode erschrockenen Pärchen und suchte das Weite. Ich wusste nicht wohin mit meiner Scham und meiner Eifersucht, da rannte ich einfach in den Brixner Dom und suchte mir ein stilles Eckchen. Ich konnte mich nicht mehr zusammenreißen und weinte wie ein Schlosshund. Die Touristen sahen mich an wie einen Verrückten, ich wandte mich ab und suchte Schutz in einem der Beichtstühle. Der Pfarrer hatte es wohl bemerkt und wollte mir prompt die Beichte abnehmen. Er fragte, was ich zu beichten habe.

Ich schluchzte: „Dass ich meine Frau liebe.“

Er tröstete mich, in dem er sagte, dass Gott es mir nachsehen würde.

 

Wie ein geprügelter Hund ging ich nach Hause. Klara war wie immer noch nicht da. Wo sie nur wieder steckte? Auf meinem Handy fand ich fünfzehn unbeantwortete Anrufe von Bianca und einige wütende Nachrichten. Ich antwortete ihr, ohne nachzudenken, dass unsere Affäre mit dem heutigen Tage zu Ende sei. Sie hat mir nicht geantwortet.

Einige Stunden später kam Klara nach Hause. Als sich die Tür öffnete, sprang ich vom Sofa, rannte zu ihr und schloss sie in meine Arme. Sie war völlig verdattert und versuchte, sich loszumachen. Ich ließ sie nicht los, ich konnte gar nicht genug von ihrem verschwitzten Hals bekommen. Nicht dass sie denken, ich hätte sonst etwas mit ihr gemacht. Nein, ich habe sie einfach nur gehalten und konnte sie nicht mehr loslassen.

Klara begann endlich wieder, mit mir zu reden. Sie sprach so viel, von den letzten Monaten, von den letzten Jahren, in denen wir uns so weit voneinander entfernt hatten. Sie erzählte mir von ihrem Yogakurs. Ich fragte sie, ob ihr der Yogalehrer gefiele. Sie lachte schallend und konnte gar nicht aufhören. Als sie sich beruhigt hatte, erklärte sie mir, dass sie die Lehrerin sei. Es war mir furchtbar peinlich. Ich drückte sie erneut an mich und entschuldigte mich für meine Abwesenheit, die ich ihr lange Zeit angelastet hatte. Was war ich nur für ein Narr.

Ich wünsche all denen, die bei mir geblieben sind, alles Gute für Ihre Ehe. Ich habe übrigens gehört, dass laut einer Statistik im letzten Jahr sehr viel weniger Ehen in Südtirol getrennt oder geschieden wurden. Klara, Bianca und mich hat es nie gegeben, aber vielleicht können wir diese Statistik ja noch ein wenig aufrecht erhalten.